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PASOLINICODE02112011

a video/installation by Ludwig Wüst

„Solange ich nicht tot bin, wird niemand behaupten können, mich wirklich zu kennen“, schrieb Pasolini. Meinte er nicht die Zusammenschau, die erst der Filmschnitt des Todes ermöglicht? Hat Pasolini nicht selbst geschrieben, nur der Tod gebe dem Leben seinen Sinn? Ist Giuseppe Zigaina, Pasolinis Schriftstellerkollegem, Recht zu geben in seiner These, Pasolini habe in seinem Gesamtwerk den eigenen Tod eingeplant, schließlich inszenieren, durchexerzieren lassen, um mit seinem Leben ein offenes Kunstwerk zu schaffen, das seinen Schriften, Zeichnungen, Gemälden, Filmen erst den Sinn einer Gesamtschau verleiht? Ist Pasolinis Ermordung untrennbar verknüpft mit der „Freiheit, den Tod zu wählen“, wie er es beschrieb? Oder liegt nicht auch in dieser Theorie die Gefahr, von einem politisch motivierten Mord abzulenken? Am 4. November 1975 wollte Pasolini auf dem Kongress einer Bürgerrechtsbewegung eine Rede halten: „Ihr müsst euch selbst treu bleiben, mit anderen Worten: auch in Zukunft nicht fassbar sein, nicht einzuordnen.“
Wie wahrscheinlich ist, dass der Mord an Pasolini politisch motiviert war? Er gab an, im Besitz von Informationen über hohe Amtsträger zu sein, die er auch eines Tages preisgeben wolle. In jedem Fall war Pasolini der intellektuelle Stachel im Fleisch einer korrupten Gesellschaft; der Schritt zum Auftragsmord ist allerdings ein großer. Und doch... Mit Pino Pelosi einen Schuldigen zur Hand zu haben, war bequem, ihn nach dem Geständnis umzubringen nicht nötig, hatte man doch genügend Druck auf ihn ausgeübt, sein Schweigen zu garantieren. Auch wenn er Jahre später sein Geständnis widerrufen würde: War es da nicht längst zu spät, um dieses Verbrechen aufzuklären?
Als „Symbol“ für ein anderes Italien sei Pasolini ermordet worden, urteilte Giorgio Galli. Salò o le 120 giornate di Sodoma war Pasolinis letzter Film. Nicht nur sein Aufschrei. Umgekehrt schrien auch Länder in aller Welt auf, der Film wurde in Italien verboten, noch 1991 eine britische Fernsehausstrahlung verhindert. Spielte auch dieser Film eine Rolle in der Ermordung Pasolinis? Sergio Citti berichtete, Filmrollen von Salò seien gestohlen worden; Jugendliche hätten den Regisseur zum Fußballplatz von Ostia bestellt, um ihm dort das Material wieder zurückzugeben...
Eine Hausfrau, Maria Teresa Lollobrigida, stieß am Morgen des 2. Novembers 1975 auf die Leiche Pier Paolo Pasolinis, die einen grauenhaften Anblick bot. „Als Pasolini tot aufgefunden wurde, lag er auf dem Bauch mit dem Gesicht zu Boden, der blutige Arm vom Leib abgewinkelt, der andere unterm Körper. Die blutverkrusteten Haare fielen über seine aufgeschürfte und aufgeplatzte Stirn. Sein angeschwollenes Gesicht war völlig entstellt und blau angelaufen, mit Wunden übersät. Blau geschlagen und rot von Blut waren auch seine Arme und Hände. Die Finger seiner linken Hand waren gebrochen und aufgeschnitten. Der linke Oberkiefer war zerschmettert. Die zerquetschte Nase war nach links gebogen. Seine Ohren waren entzwei geschnitten und das linke Ohr abgerissen. Er hatte Wunden auf Schultern, Brustkorb, Hüften; die Spuren der Reifen seines Wagens, mit dem man ihn überfahren hatte, waren deutlich sichtbar. Zwischen Kehle und Nacken war eine schreckliche Platzwunde. Zehn Rippen waren gebrochen, ebenso das Brustbein. Die Leber war an zwei Stellen auseinander gerissen. Sein Herz war geplatzt” (Perizia compiuta sul cadavere di Pasolini, in: Corriere della Sera, 2. November 1977).
Schnell steht Giuseppe Pelosi, auch als „Pino der Frosch“ bekannt, als Mörder fest: Am nächsten Morgen am Steuer von Pasolinis Alfa Romeo Giulietta 2000 angehalten und verhaftet, gesteht er den Mord: Er habe Pasolini nahe der Stazione Termini kennen gelernt, sei mit ihm in ein Restaurant gegangen, anschließend seien sie zum Fußballplatz in Ostia gefahren. Pasolini habe ihn dort zu verführen versucht, Pelosi habe sich geweigert, Pasolini sei gewalttätig geworden, Pelosi habe ihn umgebracht und mit seinem eigenen Wagen überfahren. Pelosi wird verurteilt, Pasolini in Casarsa begraben.
Aber im Jahr 2005, Pelosi befindet sich bereits wieder in Freiheit, widerruft der mutmaßliche Mörder in der TV-Sendung Ombre sul giallo sein Geständnis: Er habe nur als Lockvogel gedient, Unbekannte, die er an jenem Abend zum ersten Mal gesehen habe, hätten Pasolini ermordet. Entsetzt sei Pelosi geflüchtet, habe in seiner Verwirrung den Wagen über Pasolinis Körper gelenkt. Die römische Staatsanwaltschaft entscheidet, dass der Fall nicht wieder aufgerollt wird.


„As long as I am not dead, nobody will be able to claim knowing me“, Pasolini wrote. Didn’t he allude to the synopsis in the film cut of death? Didn’t Pasolini write himself that only death gives life its sense? Is Giuseppe Zigaina, Pasolinis fellow author, right in his assumption that Pasolini planned his own death as part of his complete works, that he let it be staged, to accomplish an open artwork, that his life provides meaning to his writings, his paintings, his films ? Is Pasolini’s murder inextricably interwoven with the “freedom to choose death”, as he described it? Or would such a theory rather divert from the assumption of a politically motivated crime? November 4th, 1975 Pasolini wanted to give an address at a civil rights campaign: “You must stay true to yourself, in other words: stay un-subsumable; also, don't get filed.”
Can we consider a politically motivated background to Pasolini's murder as probable? He stated to hold informations about high officials and made clear he would eventually disclose these. Pasolini was definitely the intellectual sting in the flesh of a corrupt society; however, from living with this status to being murdered by a contract killer is nonetheless a big step. And yet... having a culprit in Pino Pelosi was convenient, as it was not even necessary to kill him after his confession, it sufficed to apply a little pressure to guarantee his silence. Even if he should decide, as he finally did, to revoke his confession years later: Wouldn't it then be way too late to reinvestigate and finally solve the case?
As Giorgio Galli put it, with Pasolini, a “symbol” of a different Italy was murdered. Salò o le 120 giornate di Sodoma was Pasolini’s last film. Not just his outcry. All countries of the world though cried out, the film was prohibited in Italy, as yet in 1991 a television emission was prevented. Did this film play a role in the murder of Pasolini? Sergio Citti stated that film rolls of Salò were being stolen; adolescents would have appointed the director to the soccer field of Ostia to give him back the material...
In the morning of November 2nd, Maria Teresa Lollobrigida, housewife, came across the corpse of Pier Paolo Pasolini which provided a gruesome sight. “When Pasolini was found dead, he lay on his stomach, his face downward to the ground, the bloody arm angled from his body, the other one under the corpse. The hair, encrusted with blood, fell over his skinned and burst forehead. His swollen face was totally disfigured and tarnished blue, littered with wounds. Beaten blue and red of blood were his arms and hands, too. The fingers of his left hand were broken and gashed. The squashed nose was crooked to the left. His ears were sliced in two and the left ear was torn off. He had wounds on shoulders, thorax, hips; the traces of the tyres of his car were distinctly visible. Between throat and neck there was a horrible laceration. Ten ribs were broken, just as the breastbone. The liver was torn apart in two places. His heart had burst” (Perizia compiuta sul cadavere di Pasolini, in: Corriere della Sera, 2. November 1977).
Soon, Giuseppe Pelosi, also known as Pino the frog, is determined murderer: Stopped behind the wheel of Pasolini’s Alfa Romeo Giulietta 2000 the morning following the crime and arrested immediately, he confesses the murder: How he had met Pasolini near Stazione Termini, how the two of them had visited a restaurant and how, later on, they had been driving to the soccer field of Ostia. How there, Pasoline had tried to seduce Pelosi, who had refused, such provoking a violent reaction. How, in return, Pelosi had killed Pasolini, and overrun him with his own car. Pelosi is sentenced, Pasolini buried in Casarsa.
Yet in 2005, Pelosi already released, the alleged murder revokes his confession in the TV-show Ombre sul giallo: He had just served as decoy, unknowns, whom he'd only met earlier that same evening, had supposedly killed Pasolini. Whereupon Pelosi had fled, horrified, and in his confusion, had driven the car over Pasolini's dead body.
The Roman prosecution decides that the case is not reviewed.

Otmar Schöberl
Translation Urs Riegl


filmtagebuch zu „pasolinicode02112011“

2. november 2005, 30. jahrestag der ermordung von pier paolo pasolini.
Seit über einem jahr beschäftige ich mich mit dem filmischen und literarischen werk von ppp.
Bei meiner lektüre stosse ich auf viele szenen, die womöglich der szene seiner ermordung ähneln.
Dann kommt die absage des produzenten, kein geld für eine reise nach ostia und die geplante filmische aufzeichnung
der begehung der todesstätte.

April 2010. Auch das kulturamt der stadt wien (ma7) lehnt eine subvention für das geplante vorhaben ab,
das nun den arbeits titel „pasolinicode 02112011“ trägt. Ich überschlage die anfallenden kosten, reduziere diese wo es geht,
ein termin wird für ende des jahres festgelegt. mein produktionsleiter matthias pazmandy kauft 3 tickets nach rom
und reserviert hotelzimmer für 3 tage.

Anfang november 2010, am späten nachmittag ankunft in ostia. mein kameramann klemens koscher
und ich checken im hotel belvedere am strand von ostia ein. Wir nehmen eine abendmahlzeit in einem hiesigen lokal ein.
In der dunkelheit machen wir uns auf den weg richtung stadtrand, um den ehemaligen fussballplatz, pasolinis todestätte, zu suchen,
der auf dem hiesigen stadtplan nicht eingezeichnet ist. Der hotelportier gibt uns den rat, die nebengassen zu meiden,
da die gegend auch heute nicht ungefährlich sei. Wir erreichen nach zweistündigem fussmarsch eine kreuzung.
Wir entscheiden uns für den rechten weg. Nach ca 10 min stellen wir fest, dass wir in eine sackgasse gelandet sind,
an deren ende eine kneipe auftaucht, über der eine leuchtreklame in form des sterns von bethlehem angebracht ist.
Ein einfach gekleideter mann kommt hinter uns die strasse entlanggegangen. Wir fragen ihn nach dem pasolinidenkmal.
Der mann schüttelt irritiert den kopf und verschwindet in der kneipe zu bethlehem. Wir kehren um und gehen zurück zur kreuzung,
um den anderen (linken) weg einzuschlagen. Nach weiteren 10 minuten fussmarsch kommt eine weitere kreuzung mit
vier verschiedenen strassenrichtungen. Intuitiv wähle ich die strasse, die auf der linken fahrbahnseite von einem hohen eisenzaun begrenzt ist.
Mein gefühl sagt mir, dass wir diesmal auf der richtigen fährte sind. Nachdem wir ca 15 min dem zaun folgen,
kommt ein grosses eisentor und ein schild auf dem (auf italienisch) etwas steht wie „literaturpark“.
Das tor ist mit einem abgeschnittenen sicherheitsgurt „abgesperrt“. Wir lösen den knoten und betreten das dunkle areal.
Ein kleiner weg führt durch den „park“, sandsteine, auf denen gedichte von ppp montiert sind, säumen den weg.
Wir erreichen das denkmal. Wir entziffern darauf, dass im jahre 2005 das gesamte areal, das damals ziemlich verwahrlost gewesen war,
nun in diesen park verwandelt wurde. Eigentlich würden scheinwerfer das denkmal beleuchten, aber die solaranlage,
die den strom dazu liefern sollte, wurde schon vor einiger zeit gestohlen. Da erreicht uns der anruf unseres schauspielerkollegen nenad smigoc,
dessen flugzeit gerade erst gelandet war.
Wir vereinbaren ein treffen in unserem hotelzimmer. Gegen 3h früh erreichen wir selbiges und trinken noch gemeinsam ein flasche wein.

Am nächsten morgen, nach einem kargen italienischen frühstück gehen wir zu dritt auf das gelände. Sogleich beginnen wir mit den proben,
der vermessung des geländes, um „on location“ den szenischen entwurf in die tat umzusetzen. Im laufe des tages kommt ein mann (ca 60) vorbei,
der der verwalter des geländes zu sein vorgibt. Als wir ihm unser vorhaben darlegen, kommt er nicht umhin, seine persönliche version
über den mord an ppp darzulegen. Im laufe der 3 tage, die wir hier in ostia verbringen, wird uns klar, dass es einerseits menschen gibt,
die den namen pasolini noch nie gehört haben, (vor allem junge leute unter 30) und sogenannte „zeitzeugen“(personen über 50),
die alle ihre persönliche version der wahren hintergründe von ppp's ermordung erzählen wollen. Das abendessen des 2. tages nehmen wir
in unserem hotelzimmer ein, nachdem wir vorher brot, käse, salami und wein in einem italienischen supermarkt eingekauft haben.
Um 22h werden wir pünktlich von unserem taxi abgeholt, das uns zum gelände bringt. Während der fahrt dorthin entstehen erste aufnahmen
mit einer kleinen digitalkamera, die in den späteren film einfliessen. Wir betreten das nächtliche gelände wie diebe,
die einen kunstraub begehen wollen. Scheinbar will uns dieser auch gelingen. Plötzlich tauchen wie aus dem nichts die carabinieri auf.
Wir entgehen knapp einer verhaftung. man untersagt uns weiterzudrehen und nötigt uns das gelände zu verlassen.
Es bleibt uns nichts anders übrig, als den dreh abzubrechen und zum hotel zurückzukehren, zu fuss, da unser taxi längst abgefahren ist.
Am folgetag die gleiche prozedur. Untertags proben auf dem gelände. In einer drehpause entnehme ich erdreich aus pasolinis blutgetränkter erde,
fülle diese in diverse plastiksackerl, um diese nach wien zu tranportieren. Beim zoll werde ich gut verhandeln müssen,
dass ich die erde ausführen darf, aber alles geht gut.
In der 3. und letzten nacht können wir unsere aufnahmen beenden,
keine polizei stört unsere 3. ortsbegehung. Im hotel feiern wir unseren geglückten dreh, sichten die bänder und begiessen unseren aufenthalt
mit mehreren flaschen rotwein. Am nächsten tag treten wir unsere heimkehr nach wien an.

Alsbald folgt sichtung und schnitt des materials.
Eine dvd des rohschnitts wird an gerald matt geschickt, der bereits ein halbes jahr vor den dreharbeiten grosses interesse an dem projekt bekundigt hatte.
Nach ca 2 monaten kommt die zusage der kunsthalle wien, „pasolinicode02112011“ bei der ausstellung „mythos leib“ als videoinstallation zeigen zu wollen.

Am 2. november 2011 erlebt der film seine weltpremiere im netz.